Roger B hat geschrieben: ↑01.02.20 @ 7:26
Kann das bitte jemand für Nichtabonnenten reinstellen? Danke!
Nassim Ben Khalifa wehrt sich
Der 28-Jährige registriert Schadenfreude, wenn es GC nicht läuft. Er nimmt das als Sondermotivation – und versichert, er werde sich steigern. Schon heute gegen Vaduz?
Das Handy ist voller Erinnerungen und Episoden. Nassim Ben Khalifa zeigt ein Video, das ihn an einer Tankstelle im Kongo zeigt. Als er mit seinem Kollegen stoppt, sieht es nach Einsamkeit aus – ein paar Sekunden später sind die Fremden umringt von neugierigen Einheimischen und für diese die Attraktion.
Oder da ist diese Reise nach Uganda und der Besuch eines Nationalparks, in dem imposante Gorillas daheim sind.
Und eben erst hat Ben Khalifa Ferien in Brasilien gemacht. Er hat Rio de Janeiro kennen gelernt, aber er hat die Zeit nicht nur mit Fussvolleyball am Sandstrand verbracht und die Sonne genossen, sondern auch in einer Samba-Schule vorbeigeschaut. Und einmal ist er eingetaucht in die Favelas, er hat Armut gesehen, aber auch viel Freundlichkeit erfahren.
Neues hat ihn immer schon fasziniert. Wenn er als Kind die Klasse oder das Schulhaus wechseln musste, störte ihn das im Gegensatz zu anderen nicht, die Mühe hatten, aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen zu werden. Ben Khalifa sagt: «Ich hatte nie Probleme damit, sondern freute mich, andere Leute kennen zu lernen, neue Kollegen.»
«Das langweilt mich»
Darum scheute er sich nicht davor, mit 16 loszuziehen aus Lausanne. Er kam nach Zürich, gab bei GC mit 17 sein Debüt in der Super League, wurde ein paar Monate später mit der Schweiz U-17-Weltmeister. Ben Khalifa wirbelte leichtfüssig – temporeich war er unterwegs.
Aber seine Geschichte ist eben auch die eines Talents, das immer wieder als warnendes Beispiel diente für andere, die befanden, reif fürs Ausland zu sein. Ben Khalifa verliess die Heimat früh, mit 18 wechselte er nach Wolfsburg, aber es klappte nicht mit dem Durchbruch.
Am 13. Januar ist er 28 geworden. Er hat manche Station hinter sich, in der Schweiz, in Deutschland, in der Türkei und Belgien. Einiges lief schief, aber er will das, was war, nicht wieder aufwärmen. Er sagt: «Das langweilt mich nur.» Aber ein bisschen Selbstkritik, das weiss er wohl, schadet nicht: «Ich habe nicht alles richtig gemacht. Nicht immer brachte ich die nötige Geduld auf.»
Beim Cupsieg 2013 dabei
Als sich im Sommer 2019 Uli Forte bei ihm meldet, hat er eben das Kapitel St. Gallen abgeschlossen. Die Trennung in der Ostschweiz erfolgte nicht im Guten. Trainer Peter Zeidler wollte ihn im Frühjahr im Abschlusstraining nicht mehr dabeihaben, Ben Khalifa erstritt sich aber die Teilnahme daran auf dem Rechtsweg.
Dann also GC. Der Stürmer sagt sich: «Ich pokere nicht.» Obwohl GC viel Glanz verloren hat und in der Zweitklassigkeit versunken ist? «Es ist GC», antwortet Ben Khalifa und blickt so, dass der Zuhörer versteht: Er glaubt an die Wiederbelebung der Marke.
Forte kennt Ben Khalifa, zusammen feierten sie 2013 den Cupsieg mit den Zürchern. «Nassim ist ein GCler», sagt der Trainer, «ich wollte Leute wie ihn, denen nicht mehr ausführlich erklärt werden muss, worum es geht. Er kennt den Club, er kennt mich, er weiss, was wir verlangen.» Worum es geht: um den Aufstieg. Was von ihm verlangt wird: eine führende Rolle im Team. In der ersten Hälfte der Challenge-League-Saison ist Ben Khalifa mit sechs Toren der Erfolgreichste bei GC, aber er sagt: «Ich kann noch viel besser werden.» Dann das Versprechen im Nachsatz: «Und ich werde es viel besser machen.»
Nassim Ben Khalifa ist ein intelligenter Mann, steht aber auch im Ruf, sehr fordernd zu sein. Wer es ihm negativ auslegen will, würde vielleicht behaupten: Er hat einen harten Kopf und ist manchmal stur. Wer es positiver betrachtet, formuliert es eher so: Er ist ein Mensch mit grossem Stolz. «Ich bin nicht der Einfachste», gibt er selber zu, «aber ich finde es wichtig, eine klare Meinung zu haben. Und wenn man sie zur richtigen Zeit äussert, ist das in Ordnung.» Eines betont er: «Wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin, suche ich mit dem Trainer das Gespräch unter vier Augen.»
Er lässt sich nichts vormachen
Sportchef Fredy Bickel, erst seit kurzem wieder bei GC, ist auf einen Spieler getroffen, mit dem er sich gerne austauscht. Diskussionen mit ihm, sagt er, seien nicht belanglos, sondern unterhaltend und bereichernd: «Man muss schon gut überlegen und argumentieren, um ihn zu überzeugen. Nassim lässt sich nicht einfach etwas vormachen.»
Ben Khalifa möchte, so sagt er das, «möglichst lange bei GC bleiben». Er ist auch bereit, sich aufzulehnen und einzustehen für einen Club, der für sein Empfinden zuweilen sehr kritisch verfolgt werde, gar mit Schadenfreude: «Viele Leute wünschen sich, dass wir unten bleiben. Aber das muss für uns alle ein Antrieb sein, mit entsprechenden Leistungen und Resultaten zu antworten. Die Mittel dazu haben wir. Wir sind gut.» Ihm ist aber sehr wohl bewusst, dass es sich die Mannschaft nicht leisten kann, Punkte liegen zu lassen wie zuletzt beim 1:1 in Chiasso – weil sich so der Rückstand von sechs Punkten auf Lausanne nicht wettmachen lässt. Heute kommt Vaduz in den Letzigrund.
Noch ist das Ende seiner Karriere weit weg. Und doch weiss Nassim Ben Khalifa, was er als Erstes tun wird, wenn nicht mehr der Fussball seine Agenda diktiert: weit reisen, am liebsten rund um die Welt. Australien entdecken, Indien, fotografieren, filmen, exotische Speisen probieren. Er schaut in sein Handy, zeigt nochmals eine Aufnahme aus Uganda und sagt: «Auf solchen Reisen hole ich mir die positive Energie.»
Sportchef Fredy Bickel sagt: «Man muss gut überlegen und argumentieren, um Nassim zu überzeugen.»