«1500 Franken im Monat, wie soll ich davon leben?» – Vertragslose Fussballer zwischen Tristesse und der Suche nach dem Glück
Im Sommercamp der Spielergewerkschaft SAFP in Glattbrugg versuchen vertragslose Fussballer, Schwung für ihre nächste Aufgabe zu holen. Doch im Unterbau des Schweizer Profifussballs ist die wirtschaftliche Realität düster.
Nicola Berger, Glattbrugg
04.07.2022, 11.30 Uhr
Im Fussball ist der Sommer die Zeit des Exzesses. Hier 75 Millionen Euro Ablöse für Erling Haaland, da eine Forderung über ein Handgeld in Millionenhöhe, dort in der Premier League ein sechsstelliges Salär – pro Woche.
Aber die Glitzerwelt der Grossverdiener und Champions-League-Teilnehmer ist nicht die einzige Realität in diesem Geschäft. Auf dem Sportplatz Au in Glattbrugg zum Beispiel sieht sie in diesen Tagen diametral anders aus. Die Spielergewerkschaft SAFP organisiert dort ihr jährliches Camp für vertragslose Fussballprofis. Unter Anleitung des früheren GC- und Luzern-Stürmers João Paiva kann sich dort unter professionellen Bedingungen jeder kostenlos fit halten und für neue Aufgaben empfehlen.
Wer hier ist, wurde irgendwann vom Karussell geworfen
Die Zusammensetzung der Gruppe verändert sich permanent, praktisch jeden Tag verabschieden sich Spieler, weil sie irgendwo zu einem Probetraining eingeladen werden oder sich ein Vertragsabschluss anbahnt. In den letzten Tagen waren unter anderen Salim Khelifi (zuletzt FC Zürich), Grégory Karlen (Thun), Mateo Matic, André Ribeiro and André Santos (alle GC) dabei.
Es ist Montagmittag, gerade hat eine Trainingseinheit geendet. Unter den Strassenkleidern der Teilnehmer befinden sich Devotionalien von Paris St-Germain und der AS Monaco – es sind so etwas wie Projektionsflächen der Sehnsüchte. Wer hier ist, wurde irgendwann vom Karussell geworfen, wegen Verletzungen vielleicht oder einer Pechsträhne.
Am Mittagstisch wird Gemüse mit Kartoffelstock und Rindfleisch gereicht, aus der Ferne ist der Motorenlärm der Autobahn zu hören. Ein Spieler will wissen, wie das eigentlich letztes Jahr gewesen sei, wie viel ein Challenge-League-Klub für ihn geboten habe. 1500 Franken, entgegnet der Trainer Paiva, und der Betroffene übersetzt das einem Kollegen auf Französisch, in seiner Stimme ist Unglaube zu erkennen: «1500 Franken im Monat, wie soll ich davon leben?»
Das nächste Abenteuer ruft
Ja, wie soll das gehen? Aber es gibt im Fussball keinen Mindestlohn, in der Challenge League verdienen manche Spieler weniger als 1000 Franken. Es kann finanziell sinnvoller sein, in der drittklassigen Promotion League zu unterschreiben und nebenher einem anderen Job nachzugehen. Gerade für arriviertere Spieler, bei denen ein Weiterverkauf unrealistisch ist, hat die Marktsituation etwas Desillusionierendes.
Einer, der sich im Camp auf Vertragssuche befindet, sagt: «Es geht eigentlich nur, wenn du jung bist und noch zu Hause wohnst. Wenn du eine Familie hast oder Geld nach Hause schicken musst, etwa nach Afrika, hast du keine Chance. Es ist brutal.»
Aber offenkundig gibt es genug Desperados, die ihren Traum vom Profidasein noch nicht beenden wollen und sich für eine letzte Chance auf Dumpingverträge einlassen. Andere werden aus dem Geschäft gespült, so wie das frühere FCZ-Aushängeschild Marco Schönbächler, das inzwischen seit einem Jahr ohne Vertrag ist. Der Coach Paiva sagt: «Wenn du dir einen gewissen Standard gewöhnt bist und dann für 2000 Franken in der Challenge League spielen sollst, kann das ein Schock sein. Nicht jeder ist bereit, das zu tun.»
Der Spieler, der jetzt in Glattbrugg sitzt, lehnte die 1500 Franken damals ab, in der Hoffnung, anderswo Unterschlupf zu finden – die Wege im Fussball sind ja oft unergründlich und verworren, im Jahr 2022 spielten Schweizer Fussballer in 39 ausländischen Ligen, von Liechtenstein über den Irak bis Indonesien. Irgendwo kann immer ein Abenteuer locken. Als die SAFP-Auswahl kürzlich ihre ersten Testspiele bestritt, gegen Stade Lausanne-Ouchy und den SC Kriens, sassen Vertreter eines armenischen Klubs auf der Tribüne.
«Es kann schnell gehen in diesem Geschäft», sagt Paiva, 39, der in diesen Wochen auch eine Art Seelsorger ist und die Stimmung und Moral hochhalten muss. Es ist sein fünftes Jahr in diesem Camp, das als Sprungbrett dienen soll. 2021, sagt Paiva, hätten 72 Prozent der Teilnehmer einen neuen Arbeitgeber in einer identischen oder besseren Liga gefunden.
Auch er fand einen Job: Er übernahm als Trainer bei der inzwischen in die Challenge League aufgestiegenen AC Bellinzona. Doch nach etwas mehr als einem Monat war Schluss – Paiva sagt, er habe die Aufstellung nicht frei wählen können. Der Klub verbrauchte in der Promotion League innert einer Saison drei Trainer, gerade ist der ehemalige Nationalspieler David Sesa auf Marco Schällibaum gefolgt.
Der Trainer betreibt Werbung für seine Spieler
Aber eigentlich ist das der beabsichtigte Mechanismus: dass das knapp fünfwöchige Camp zur Überbrückung dient und danach der nächste Job wartet. Paiva sagt, es gebe viele Beispiele, bei denen das geklappt habe. Allein in diesem Sommer hätten bereits diverse Spieler Unterschlupf gefunden, in Österreich etwa. Paiva sagt: «Wir waren in den bisherigen Testspielen ebenbürtig. Das spricht für die Qualität der Spieler, die hier sind. Wir haben viele Leute, die einem Team in der Challenge League helfen könnten.»
Das Transferfenster in der Schweiz schliesst Ende August, bis dann wird es etliche Kadermutationen geben. Und für die Desperados von Glattbrugg vielleicht die nächste Gelegenheit, im bezahlten Fussball wieder Fuss zu fassen.
maekkrebs hat geschrieben: ↑05.07.22 @ 12:38
Kannst du bitte den ganzen Beitrag posten? Danke!