Bitte nicht in meinem Garten: Die Einwände gegen das Zürcher Stadion zeugen von Eigennutz und mangelndem Realitätssinn1886_+_ hat geschrieben: ↑04.09.20 @ 15:40Könntest du den Artikel "nicht-abo-gerecht" ins Forum stellen? Wäre froh!Sicarius hat geschrieben: ↑04.09.20 @ 8:30 Bitte nicht in meinem Garten: Die Einwände gegen das Zürcher Stadion zeugen von Eigennutz und mangelndem Realitätssinn
https://www.nzz.ch/meinung/zuercher-fus ... hare%20Hub
Zum zweiten Mal innert zwei Jahren muss Zürich über ein Stadion abstimmen. Dieses Mal wird von den Gegnern ins Feld geführt, es sei unökologisch. Das ist an den Haaren herbeigezogen. Das jetzige Projekt ist das beste, das in der realen Welt zu haben ist.
Michael von Ledebur
9 Kommentare
04.09.2020, 05.30 Uhr
Keine zwei Jahre ist es her, dass die Zürcher Stimmberechtigten Ja zu einem Stadion gesagt haben. Was in Luzern oder St. Gallen, in Thun oder Schaffhausen längst umgesetzt ist, schien endlich auch in der grössten Schweizer Stadt zu gelingen. Heute erscheint er weit weg, dieser Tag im November 2018, als die Präsidenten von GC und FCZ gemeinsam in die Luft sprangen und die SP ihre Niederlage eingestand. Seither ist die grüne Welle durch die Schweizer Politiklandschaft gerollt. Die Zürcher Stimmberechtigten versenkten mit dem Rosengartentunnel ein grosses Infrastrukturprojekt auf städtischem Boden. Die Corona-Pandemie veränderte den Blick auf vieles, auch auf den Fussball, der ohne Zuschauer glanzlos über den Bildschirm flimmert. Hat sich auch die Perspektive der Stadtzürcher Stimmberechtigten auf das Stadionprojekt verändert?
Die Gegner von «Ensemble», dem Stadionprojekt mit zwei Wohntürmen und einer Genossenschaftssiedlung, hoffen es. Es waren Einzelne, die das Referendum erzwungen haben, doch nun stellen sich sämtliche linken Parteien gegen das Vorhaben. Sie repräsentieren zumindest auf dem Papier eine Mehrheit der städtischen Stimmberechtigten. Viele von diesen werden sich fragen, weshalb sie überhaupt nochmals an die Urne gehen müssen. Technisch gesehen lautet die Antwort, dass der Stadionbau einen privaten Gestaltungsplan voraussetzt, dass ein solcher im Stadtparlament verhandelt wird – und dass man dagegen das Referendum ergreifen kann.
Die Gegner von «Ensemble» sagen, es sei noch gar nicht über die Gestaltung der Verbauung diskutiert worden (obwohl 2018 bereits alle Fakten auf dem Tisch lagen). Es werden nun neue Argumente ins Feld geführt. Nach angeblichen Luxuswohnungen und Fragezeichen bei der Finanzierung ist es nun die Ökologie, die vorgeblich gegen das Vorhaben sprechen. Und es sei die letzte Chance, eine verunglückte Stadtplanung zu korrigieren.
Zwischen Bienenhaus und Baumschaukel
Die Gegner des Vorhabens sind im Umfeld der Stadionbrache zu verorten, die anstelle des 2008 abgerissenen Hardturmstadions entstanden ist. Die einen betrachten den Ort als landschaftsarchitektonisches Experiment, andere sehen sich an die Tristesse einer rumänischen Provinzstadt erinnert. Auf einem Drittel des Areals wurde eine verwunschene Gartenlandschaft gestaltet – man kann darin eine typisch städtische Romantisierung ländlichen Lebens erkennen. Das ist ein wenig kitschig, aber durchaus liebevoll gemacht, übrigens mit finanzieller Unterstützung der Stadt, die das Vorhaben mit jährlich 30 000 Franken alimentiert.
Der städtisch unterstützte Verein Stadionbrache ist gehalten, sich politisch neutral zu verhalten, und grenzt sich ab von der Interessengemeinschaft (IG) Freiräume, die das Referendum gegen «Ensemble» ergriffen hat. Aber es ist offensichtlich, dass es personelle Überschneidungen gibt und dass für manche der Erhalt der Brache das vordringliche Ziel ist. Jedes Jahr Verzögerung bedeutet etwas mehr Schonfrist für Bienenhaus und Baumschaukel. Das ist Gärtchendenken im sprichwörtlichen Sinn. Auf der Brache herrscht die für die Zürcher Alternativszene oft typische Insider-Mentalität – aller propagierten Offenheit zum Trotz und trotz all den vielgepriesenen Aktivitäten, von Yoga bis zum Kletterkurs für Flüchtlinge. Quantitativ ins Gewicht fällt all dies nicht angesichts der geplanten Wohnnutzung für über tausend Leute.
Vermeintliche Umweltsünden
Es ist schon bemerkenswert: Da stellt die Stadt ein Landstück temporär zur Verfügung – und ein Jahrzehnt später soll ein schützenswertes Naturparadies entstanden sein. Das Argument, es werde Grünraum vernichtet, widerspricht allerdings den Angaben des Umweltverträglichkeitsberichts. Die für «Ensemble» gerodeten Bäume werden demnach ersetzt und müssen, anders als behauptet, nicht über einer Tiefgarage, sondern im Erdreich wurzeln. Selbst für bedrohte Tierarten sind Lösungen vorgesehen, unter anderem Nistkästen für Falken an den Wohntürmen.
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Im selben Bericht ist zu lesen, dass der Bau so gut wie keine Auswirkungen auf das Mikroklima habe. Dies widerspricht der Behauptung von einer fatalen Erhitzung des Quartiers an heissen Sommertagen, illustriert durch alarmistische Grafiken in Rot. Der lasche Umgang mit Fakten korrespondiert leider mit Stillosigkeiten, die im Abstimmungskampf zum Markenzeichen der Stadiongegner rund um die IG Freiräume geworden sind. Da werden andere Meinungen als Lügen gebrandmarkt, da wird ein Schüler, der sich für das Stadion einsetzt, öffentlich mit zweifelhaften Vorwürfen persönlich angegriffen, da ist man sich nicht zu schade, vom «Corona-kranken Fussball» zu reden.
Jedes Argument scheint recht
Vor allem aber entsteht der Eindruck, es würde jedes erdenkliche Argument gegen das Stadionprojekt herangezogen. Beispielsweise stellen sich auch Vertreter des Klimastreiks gegen das Stadion. Natürlich, bauen ist per se klimaschädlich, und «Ensemble» ist nicht in erster Linie ein Ökoprojekt. Aber es wird immerhin Recyclingbeton verwendet, es werden Dächer begrünt, und Fassaden dienen der Solarstromerzeugung. Konsequenterweise müssten die Klimastreikenden fortan auch den Bau von Schulhäusern und Genossenschaftssiedlungen bekämpfen, denn auch da wird Beton verbaut, und es werden Tiefgaragen erstellt. Dies wird selbstredend nicht passieren. Was verdeutlicht, dass das Landstück in Zürich-West als Projektionsfläche herhalten muss – und dass die Ablehnung ideologisch begründet ist.
Von den linken Parteien wird wie bereits 2018 ins Feld geführt, es dürfe nicht sein, dass die Credit Suisse als private Firma Rendite auf städtischem Land erwirtschafte. Dabei ist es gerade diese Rendite, die den Stadionbau und -betrieb ermöglicht, weil der Mietertrag aus den Türmen das Stadion querfinanziert. Andere Finanzierungen sind gescheitert: das Modell Mantelnutzung mit Einkaufszentrum 2009 nach einer Rekursschlacht und ein städtisch finanziertes Stadion 2013 an der Urne.
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Das Foul der SP
Von den Parteien verhält sich die SP unredlich. Mit ihrer Nein-Empfehlung hat die Parteileitung ihr im Herbst 2018 abgegebenes Versprechen gebrochen, dem Stadion «keine Steine mehr in den Weg» zu legen. Sie missachtet den Volkswillen und ignoriert das Votum der eigenen Wählerinnen und Wähler, von denen sich manche fragen dürften, warum sich die Parteispitze gegen ein genossenschaftliches Wohnprojekt stelle.
Schliesslich gibt es noch den städtebaulichen Einwand. Kritik an der Entwicklung in Zürich-West ist legitim. Das Quartier wirkt an manchen Ecken wenig belebt. Doch aus Sicht des Fussballs tönt das Argument hohl, es gelte die Sünden der Vergangenheit auf dem Hardturm zu heilen. Das Areal ist ein Überrest eines viel grösseren Sportareals, das sich bis südlich der heutigen Autobahn erstreckte. Natürlich müssen neue Nutzungen möglich sein, wenn sich die Bedürfnisse ändern. Doch die Idee, dem Fussball seinen Platz gänzlich abzusprechen und ausschliesslich Wohnungen zu bauen, ist anmassend. Zürich ist Wohnstadt, das ist positiv. Aber sie muss auch Platz für andere Funktionen bieten.
Auch «Ensemble» ist in erster Linie ein Wohnprojekt mit einem bescheiden dimensionierten Fussballstadion für 18 000 Zuschauer. Dank der geplanten Genossenschaftssiedlung mit 174 Wohnungen würde das Quartier aufgewertet. Es gibt langjährige Quartierbewohner, die den Bau deshalb geradezu herbeisehnen. Städtebaulich ist das Projekt ein Gewinn, inklusive der beiden Hochhäuser mit 570 Wohnungen. Grundsätzlich muss man sich fragen, ob es nach zwanzig Jahren Planung nochmals der Zeitpunkt ist, eine Grundsatzdiskussion zu führen.
Es geht nicht um den «Kessel», sondern um Einnahmen
Es besteht auch eine gewisse Dringlichkeit. Die schlechte Verfassung der Zürcher Fussballklubs spricht gerade nicht gegen das Vorhaben, sondern dafür. Es geht beim Stadionbau nicht um den vielzitierten «Hexenkessel» und ein bisschen mehr Stimmung ohne Tartanbahn. Es geht darum, dass FCZ und GC die Einnahmen aus der Gastronomie bitter nötig haben, die sie im Letzigrund nicht erwirtschaften können.
Aber selbst wer felsenfest davon überzeugt ist, dass es für dieses Landstück eine bessere Lösung gäbe, muss sich den Realitäten stellen. Die Idee einer reinen Wohnsiedlung ohne Stadion ist eine Seifenblase. Bekanntlich kann die CS das heute städtische Land zurückkaufen, wenn kein Stadion gebaut wird. Das täte sie zweifellos. Die 50 Millionen Franken wären für die Bank ein Klacks. Schon heute hat das Land den geschätzt sechsfachen Wert. Entsprechend tief müsste die Stadt in die Tasche greifen, wollte sie die Verpflichtung zum Stadionbau ausradieren und das Land definitiv kaufen. Aber so oder so wäre die CS zu einem solchen Handel kaum bereit. Es wäre töricht, auf eine derartige Anlagemöglichkeit zu verzichten.
Kein Stadion? Für die CS eine lukrative Alternative
Die CS könnte auf 40 000 Quadratmetern zonenkonform mit hoher Ausnützung bauen. Das dürften dann zahlreiche 19 Meter hohe Blöcke sein, die nebeneinanderstehen. Die Öffentlichkeit könnte nicht mehr mitreden. Weder der Fussball noch genossenschaftliches Wohnen werden in einem solchen Projekt Platz haben.
Der andere Weg bei einem Nein wäre ein neues Stadionprojekt. Aber wer hätte darauf noch Lust? Das jetzige Modell ist ein typischer Schweizer Kompromiss – das Resultat der Lehren, die man aus zwei gescheiterten Anläufen gezogen hat. Seit zwei Jahrzehnten arbeitet sich die Politik am Stadionbau ab, alle möglichen Varianten hat sie durchgespielt. Die Stimmberechtigten werden zum vierten Mal an die Urne gerufen. Es wird Zeit, dieses Kapitel endlich abzuschliessen.