Es ist ein schöner Tag im Sommer 2020. Viele neue Spieler sind zu den Grasshoppers gekommen, einige stammen aus Portugal, nun sitzen sie an einem Tisch auf dem Trainingszentrum und unterhalten sich. «Come here, sit down», ruft einer von ihnen dem Journalisten zu und rückt einen Stuhl zurecht. Noch keine Woche da, fühlt er sich wie zu Hause.
So ist Eliseu Mendja Nadjack Soares Cassama aus Guinea-Bissau. So ist der Mann, den hier jeder einfach Nadjack nennt. Wie er da in der Sonne sitzt, kommt es einem so vor, als wäre er schon ewig hier.
Als Nadjack auf jenen Sommer zurückblickt, sagt er: «Ich wollte es wirklich gut machen.» Zweieinhalb Jahre ist er jetzt ein GC-Spieler. Aber es kommt nicht so, wie er sich das vorstellt. Denn gespielt hat er kaum, sieben Partien sind es bis heute. Im vierten Spiel reisst die Patellasehne, bereits zum zweiten Mal, 2019 hatte er die Verletzung schon einmal, im rechten Knie, jetzt im linken.
Nadjack erinnert sich an den Moment, Spiel gegen Wil im Letzigrund, erste Halbzeit. Es ist kein Zweikampf, einfach eine falsche Bewegung. Mitspieler Giotto Morandi ist der Erste, der bei ihm ist. «Geht es?», fragt er. «Bro, wieder das Gleiche», antwortet Nadjack, als er am Boden liegt. 26 ist er da, und er denkt, seine Karriere endet in diesem Moment.
«Bro, wieder das Gleiche»: Nadjack im Gespräch mit Mitspieler Giotto Morandi.
«Bro, wieder das Gleiche»: Nadjack im Gespräch mit Mitspieler Giotto Morandi.
Foto: Walter Bieri (Keystone)
Weil er diese Art Verletzung kennt, weiss der Rechtsverteidiger, was auf ihn zukommt. Und er weiss auch, dass hier mehr auf dem Spiel steht als nur seine Zukunft als Fussballer. «Ich bin verantwortlich für meine Familie», sagt er, «dank meiner Arbeit als Fussballer haben viele Leute etwas zu essen.» Nadjack schickt einen Grossteil seines Lohns nach Hause.
Seine Mutter muss nicht mehr arbeiten
Der 28-Jährige stammt aus Bissau, der Hauptstadt von Guinea-Bissau. Das Land an der afrikanischen Westküste war einst eine portugiesische Kolonie, noch heute ist Portugiesisch Amtssprache. Gemäss Worldpoverty.io leben 83 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut, Menschen also, die mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag auskommen müssen.
Nadjack ist das zweitjüngste von neun Kindern, seinen Vater verliert er früh, ein Bruder stirbt nach langer Krankheit ebenfalls. Abgesehen von ihnen und einer Schwester, die in Senegal studiert, ist die ganze Familie noch in Bissau. «In einem besseren Haus als früher», erzählt Nadjack, seine Mutter müsse nicht mehr arbeiten.
In der Nachbarschaft, in der Nadjacks Familie lebt, gibt es nicht viel. «Wir hatten keine guten Schulen und keine guten Spitäler», sagt er, «aber wir waren glücklich, ich war nie wütend, weil ich nichts zu essen hatte.» Nadjack verbringt jede freie Minute mit Fussball, spielt aber nie in einem Club. Die Mutter habe ihn eben lieber in der Schule gesehen als auf dem Fussballplatz.
Eines Tages veranstaltet ein Cousin, der in Portugal lebt, ein Fussballturnier in Bissau, und als es vorbei ist, sagt er zu Nadjack: «Deine Mutter hat nie gesagt, dass du so gut spielst!» Nadjack lacht laut, als er die Geschichte erzählt, wie eigentlich immer, wenn er von früher spricht.
Ein Jahr nach dem Turnier folgt er seinem Cousin nach Portugal, mit 16 verlässt Nadjack seine Heimat erstmals. Er kommt bei einem Team namens Ribeirão unter und trifft dort erstmals auf André Moreira, heute ist der Goalie sein Mitspieler bei GC und ein guter Freund. Nach einem Jahr absolviert Nadjack ein Probetraining bei Chelsea, weil es nicht klappt, geht er zu den Junioren von Benfica Lissabon, er wird zum Nationalspieler Guinea-Bissaus.
Nadjack, der Apfeldieb
2020 dann der Wechsel von Rio Ave in die Schweiz. «Die ersten Tage waren so schwierig», erzählt er und lacht wieder laut auf, weil er daran denkt, wie ihm die Schweizer Bürokratie zu schaffen machte. «In der ersten Woche bekam ich fünf Briefe und verstand gar nichts.» Sein Englisch ist zwar gut, Deutsch bereitet ihm aber Mühe, auch wenn er bei GC einer der Besten ist im Deutschkurs.
Heute fühlt sich Nadjack wohl, seine Freundin ist in die Schweiz gezogen, er ist Vater eines Sohnes geworden. «Auch darum fühle ich mich mit Zürich verbunden», sagt er. Wenn er Heimweh hat, redet er mit seinen portugiesischen Kollegen im Team, er geht mit ihnen essen und verbringt Zeit am See. Im Trainingslager teilt er mit ihnen das Apartment.
Die Zukunft bei GC ist ungewiss: «That’s life», sagt Nadjack.
Die Zukunft bei GC ist ungewiss: «That’s life», sagt Nadjack.
Foto: Sabina Bobst
Bei GC wird Nadjack zum Gute-Laune-Bär, ob fit oder verletzt, wo er ist, geht die Sonne auf. Besonders diese Geschichte wird gerne erzählt: Nach den Trainings pflückt Nadjack Äpfel vom Baum der Internatsleiterin, weil er denkt, was auf dem Campus sei, sei für alle da. «Ich mag eben Äpfel, einmal hat sie mich aber erwischt.» Und da ist es wieder, dieses laute Lachen, diesmal kriegt er sich kaum mehr ein.
Muss Nadjack nun weg? Der Vertrag läuft aus
Bald wird Nadjack 29, seiner Arbeit konnte er in den vergangenen Jahren nie richtig nachgehen. Er hätte Grund zu hadern. Warum kommt er trotzdem immer gut gelaunt auf das Trainingsgelände?
«Stellen Sie es sich so vor: Wenn ich jeden Tag mit denselben Leuten im Bus zur Arbeit fahre, meine Kopfhörer aufsetze und am Handy bin, könnte ich zehn Jahre mit diesen Menschen arbeiten, und niemand würde mit mir reden. Wenn ich am ersten Tag aber in den Bus steige und lächle, dann werden wir vielleicht mal einen Kaffee trinken.» Er sehe die Spieler von GC öfter als seine Familie, darum sei ihm die gute Laune wichtig. So einfach kann es sein.
Zweieinhalb Jahre, sieben Einsätze und doch geschätzt wie kein anderer, so lässt sich die Zeit Nadjacks bei GC zusammenfassen. Wenn junge Spieler schwierige Verletzungen erleiden, ist er einer der Ersten, die sie aufmuntern. Als Teamkollege Florian Hoxha wegen eines Kreuzbandrisses lange ausfällt, sagt er ihm: «Schau mich an, ich habe nicht mal mehr ein Knie.»
Bernt Haas weiss zu schätzen, was er an Nadjack hat. Der 44-Jährige ist seit Sommer Sportchef der Grasshoppers. Er sagt: «Er war immer positiv, wo andere in ein Loch fallen würden.» Haas weiss, wovon er spricht, auch er musste sich nach Verletzungen oft zurück kämpfen. Im Sommer läuft Nadjacks Vertrag bei GC aus, er hat noch fünf Monate, um sich zu beweisen. Ein Entscheid sei noch nicht gefallen, sagt Haas, «wir sind froh, dass er jetzt zurück ist und der Mannschaft hilft».
Und Nadjack sagt: «Ich brachte über zwei Jahre keine Resultate, es wird also nicht einfach. Aber ich werde mein Bestes geben, weil ich es liebe, hier zu sein.» Umgekehrt sind bei GC viele Menschen froh, dass er hier ist. Und das ist keine Plattitüde.