Caio#21 hat geschrieben: ↑30.09.25 @ 7:19
gibt es den erwähnten NZZ-Artikel mit Susi Sutter online? Wenn ja, wer hat und wer gibt?
«Stürze mich nie ohne Fallschirm vom Fels»
Alain Sutter war ein ungewöhnlicher Fussballer. Jetzt ist er ein ungewöhnlicher Sportchef. Er sagt, was ihn an den Plänen der Grasshoppers überzeugt und wie er den Klub mit kleinem Budget wieder auf die Beine bringen will.
Interview: Fabian Ruch, Stephan Ramming
NZZ am Sonntag: Wann haben Sie nach dem Ende im FC St. Gallen gemerkt, dass Sie wieder bereit sind für einen neuen Klub?
Alain Sutter: Mir war schon bei der Freistellung klar, dass ich wieder einsteigen möchte als Sportchef.
Sie brauchten keine Zeit, um die sechs Jahre in St. Gallen zu verdauen?
Das ist ein anderes Thema. Ich war nicht müde, ich war voll in der Arbeit und hatte noch zwei Jahre Vertrag. Wenn mir am Tag nach der Freistellung ein überzeugendes Projekt angeboten worden wäre, hätte ich sofort zugesagt.
Erstaunlich. Dann haben Sie die Zeit in St. Gallen nicht reflektiert?
In Bezug auf meine Arbeit als Sportchef nicht, nein. Ich glaube, dass ich im Berufsalltag sehr reflektiert bin. Jeder Sportchef interpretiert den Job anders, je nach seinen Stärken. Ich weiss sehr genau, was ich kann und was mir weniger liegt. Weil mein Vertrag weiterlief, war das auch geschenkte Zeit, die ich zur persönlichen Reflexion nutzen konnte.
Welche Schlüsse haben Sie gezogen?
Sie gehen niemanden etwas an. Ausser mich selbst. Selbstverständlich habe ich die Zeit genutzt, um mich zu fragen, wo ich als Person stehe im Leben.
Weshalb war es keine Frage, als Sportchef weiterzuarbeiten?
Weil ich die Arbeit gerne mache. Meine Arbeitsweise ist gut für den Fussball, den Klub, die beteiligten Leute. Ich habe die Jahre in St. Gallen sehr geschätzt, nicht nur, weil sie erfolgreich waren. Für mich war das Projekt nicht abgeschlossen. Ich war weder frustriert noch enttäuscht, aber ich hatte Pläne und Ideen, wie man den Verein noch weiterentwickeln kann. Ich wusste, dass ich nochmals ein Projekt im Fussball annehmen möchte, um dieses dann auch abzuschliessen.
Anfang Mai wurden Sie dann als neuer GC-Sportchef vorgestellt. Viele fragten: Warum tut sich Alain Sutter das an?
In der damaligen Situation war diese Reaktion verständlich. GC war im Abstiegskampf, als Sportchef hat man wenig Möglichkeiten, Veränderungen vorzunehmen. Aber wenn ich persönlich vom Projekt überzeugt bin, mache ich meine Entscheidungen nicht von kurzfristigen Aussichten abhängig oder von der Frage, ob mein Image leiden könnte. Ich sehe die Chancen, nicht die Risiken.
Trotzdem ist GC ein Risiko. Lieben Sie Abenteuer?
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sich ohne einen Fallschirm vom Fels stürzen und dann mal schauen, was passiert. Ich habe mir ein Bild von der Situation bei GC gemacht, mit allen Beteiligten Gespräche geführt. Ich habe meiner guten Beobachtungsgabe vertraut und meiner Erfahrung in St. Gallen. Nach den ersten fünf Monaten stelle ich nun fest, dass mich nichts überrascht hat, was ich vorgefunden habe.
GC gehört dem Los Angeles FC und ist Teil eines Netzwerkes, das zum FC Bayern, nach Österreich, Afrika und Südamerika gesponnen ist. Hatten Sie keine Bedenken, von den Besitzern abhängig und nur ein kleines Rädchen zu sein?
Überhaupt nicht. Es war von Anfang an für alle klar, dass die Verantwortlichen vor Ort die Entscheide treffen sollen. Das war für mich eine Bedingung. Die Netzwerk-Idee ist sehr Spannend. Ich sehe sie als grosse Chance, und sie ist ein wichtiger Grund, weshalb ich hier bin. Ein anderer Grund ist, dass ich ein gutes Gefühl bekam, als ich die Verantwortlichen kennenlernte. Dieses Gefühl hat mich nicht getäuscht. Die Ideen, was die Besitzer machen wollen und auf welche Art und Weise, haben mich überzeugt. Was sie mit dem LAFC in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt haben, fasziniert mich.
Man hat den Eindruck, die Amerikaner sind weder spür- noch sichtbar.
Für mich ist das überhaupt nicht so. Harald Gärtner und Lukas Grether sind regelmässig im Campus und unterstützen uns vor Ort. Mit dem LAFC-General-Manager John Thorrington tausche ich mich über alle anstehenden Themen aus, auch mit der Präsidentin Stacy Johns stehe ich in regelmässigem Dialog. Ich habe Zugriff auf enorm viel Wissen und Erfahrung und arbeite mit Leuten, die das Geschäft kennen und mir helfen, Entscheide zu treffen.
Dennoch stellt sich die Frage: Was wollen die Amerikaner mit GC – ausser Geld verlieren?
Sie wollen das Gegenteil, sie wollen «return on investment». Das sind keine Samariter, das sind Geschäftsleute, Investoren mit Erwartungen. Sie machen ein Investment, das sich rentieren soll, indem wir mit GC Werte generieren, die sich auszahlen. Wir sind in der Bringschuld, wir müssen liefern.
Werte generieren – was heisst das? Deswegen kommt niemand ins Stadion.
Es geht um die Art und Weise, wie wir Fussball spielen wollen. Wie wir mit dem Nachwuchs arbeiten. Wie wir auftreten, uns zeigen als Grasshopper-Club. Wir wollen den Menschen Freude bereiten, wenn sie uns zuschauen. Wir wollen wahrgenommen werden, Sichtbarkeit. Das wiederum kann uns Partner bringen im Sponsoring. Das erhöht die Werte der Spieler und macht diese interessant auf dem Transfermarkt. Das alles wirkt zusammen und kann Wert generieren. Diesen Prozess wollen wir in Gang setzen.
Wie soll das gehen mit gegen fünfzehn Millionen Franken Defizit und ohne eigenes Stadion?
Es ist Fakt, dass wir unsere Heimspiele beim Stadtrivalen austragen, es ist Fakt, dass wir mindestens zehn Millionen Franken zusätzlich erwirtschaften müssen für eine ausgeglichene Rechnung. Wir senken Kosten und versuchen, Einnahmen zu erhöhen. Wir wollen, dass GC vorwärtskommt.
Wie sehen die wirtschaftlichen und sportlichen Zielvorgaben der Besitzer aus?
Wir haben natürlich ein Budget. Aber keine Vorgaben für Transfergewinne oder konkrete Tabellenplatzierungen. Aber wie gesagt, wir müssen liefern. Wenn uns das nicht gelingt, glaube ich nicht, dass es die Besitzer bis in alle Ewigkeit lustig finden, in Zürich Geld auszugeben. Das kann ich verstehen.
Wie soll das funktionieren, wenn GC – laut Ihrer Aussage – das drittkleinste Budget der Liga hat?
Ich muss korrigieren: Für Spieler haben wir das kleinste Budget, das ist die Realität. Wir nehmen sie an. Es ist eine Herausforderung.
Die Amerikaner haben Geld. Warum drängen Sie nicht auf ein höheres Budget?
Ich arbeite in der Realität, die ich vorfinde. Ich will aus dem, was zur Verfügung steht, viel machen. Ich habe nie mehr Geld gefordert für das Kader. Auch in St. Gallen habe ich Budgets stets eingehalten oder unterschritten.
Ohne Investition ins Kader wird es schwierig.
Das ist der Reiz, die Herkulesaufgabe. Wir fahren eine ambitionierte Strategie im Rahmen der Realität, in der wir uns bewegen. Wir haben Risiko-Transfers gemacht, auch mit jungen Spielern mit viel Talent, bei denen man nicht weiss, wo die Reise hingeht.
Sie hatten viele Vorgänger, die in all den Jahren immer wieder erzählten, wie sie GC voranbringen wollten. Verstehen Sie, wenn man auch Ihnen gegenüber skeptisch bleiben muss?
Absolut. Aber ich bin überzeugt, dass es gelingt. Ich habe für mich keine Garantie und kann auch anderen keine Garantie geben. Wir haben eine Strategie, die ich konsequent verfolge. Ich will niemanden überzeugen, dass es aufgeht. Am Ende zählt, was auf dem Platz passiert. Daran werden wir gemessen werden.
Sie wirken anders als die Sportchefs, die man kennt. Stimmt der Eindruck?
Ich habe schon als Spieler immer gehört, dass ich kein «normaler Fussballer» sei. Vielleicht stimmt es ja auch ein wenig. Es stört mich nicht, wenn ich so betitelt werde.
Sie spielten unter Erich Vogel, Uli Hoeness. Schöpfen Sie aus Erfahrungen mit Sportchefs?
Nein. Ich habe mich schon als Spieler immer zuerst an mir selber orientiert. Ich schaue nicht auf andere, sondern nur auf mich selbst.
Fussball ist in allen Belangen Teamsport: Das bedeutet, man muss auf die anderen schauen.
Sie missverstehen mich. Das ist eine andere Facette. Ich spreche nur für mich: Ich muss genau wissen, was ich für mich brauche, um meine Aufgabe zu erfüllen. Dann muss ich in meiner Rolle spüren, was die anderen in ihren Rollen als Spieler, Trainer und so weiter brauchen, damit alle Beteiligten so aufblühen können, wie sie sind. Die Leute sind nur dann gut, wenn sie sich selber sein können. Das gilt auch für mich.
Wann ist ein Sportchef erfolgreich? Wenn er wie David Degen im FC Basel Millionen generiert oder wie Christoph Spycher eine YB-Dynastie aufbaut?
Beide sind auf ihre Weise sehr erfolgreich. Aber ich will Erfolg nicht definieren. Erfolg bemisst sich je nach Projekt ganz verschieden. Wenn ich an Oliver Kaiser denke, Sportchef im FC Winterthur, dann ist er gemessen an den finanziellen Mitteln enorm erfolgreich. Für mich ist die Benchmark nicht Transfergewinn oder die Anzahl Titel. Für mich zählt, in einem spezifischen Projekt das Maximum herauszuholen. Wer nicht im Projekt involviert ist, kann diese Bewertung nicht vornehmen.
Doch. Wir als Medien und die Zuschauer sehen die Resultate, die Tabelle. Allein das bemisst Erfolg.
Für Aussenstehende selbstverständlich! Es geht immer um Leistung, Punkte, Titel. Ihre Art der Bewertung ist das Privileg des Publikums. Das ist gut so. Wer das nicht aushält, ist im Fussball am falschen Ort, und ich bin der Letzte, der das nicht akzeptiert. Aber meine Aufgabe als Sportchef verlangt, dass ich auch andere Facetten als nur die Resultate berücksichtige.
Woher nehmen Sie eigentlich Ihre Gelassenheit?
Wie meinen Sie das?
Der Spieler Alain Sutter schwebt wie ein blonder Engel über den Platz, nach der grossen Karriere schreibt er Bücher, er coacht andere Menschen, ist ein kluger TV-Analytiker, wird erfolgreich als Sportchef, jetzt lässt er sogar GC wieder ein wenig erstrahlen – Alain Sutter kann alles, ein Glückskind.
Wie schön! Ich nehme das mit erfreutem Lächeln zur Kenntnis. Ich habe mich nie so wahrgenommen.
Gleichzeitig hat man den Eindruck, Alain Sutter muss das alles gar nicht so ernst nehmen, weil dem Glückskind ohnehin alles gelingt.
Ich nehme das so an, auch wenn es nur ein kleiner Teil der Wahrheit ist. Wie jeder Mensch hatte ich Höhen und Tiefen. Auf meinem Weg gab es viele Schwierigkeiten, mit denen ich mich auseinandersetzen musste. Ich hatte immer wieder innere Kämpfe auszutragen. Ihre Zuschreibungen an meine Person zeigen mir, dass ich im Leben viele richtige Entscheidungen getroffen habe, weil ich gelernt habe, am Ende immer auf mich selbst zu hören.
Wenn Sie Schwierigkeiten im Leben ansprechen: Was war die grösste?
Das möchte ich für mich behalten.
Wir bitten um ein Beispiel, ein kleines.
Also gut, es ist nicht unbekannt: Mit 19 Jahren habe ich mich bei den Grasshoppers zu YB weggestreikt. Bei YB hat es überhaupt nicht funktioniert. Ich kam als Nationalspieler, glaubte zu wissen, wie alles funktioniert. Schuld waren immer die anderen, der Trainer, die Mitspieler. Nie ich selber. Nach zehn Monaten wurde ich fristlos entlassen. Zurück bei den Grasshoppers, musste ich etwas ändern. Ich spürte, dass ich bei mir selber anfangen muss.
«Für Spieler haben wird das kleinste Budget der Liga, das ist die Realität. Wir nehmen sie an.»
Alain Sutter
Er galt als hochbegabt und wechselte 1985 als erst 17-Jähriger von dem Berner Quartierverein SC Bümpliz 78 zum Grasshopper-Club. Dort gewann Sutter mehrere Titel, ehe er 1993 in die Bundesliga wechselte. Auch im Nationalteam war er Starspieler und nahm an der WM 1994 teil. Ab 2018 war er Sportchef im FC St. Gallen, seit Mai ist er in dieser Funktion bei GC.
Mein erstes GC-Spiel im Hardturm: https://www.weltfussball.com/spielbericht/super-league-2002-2003-grasshoppers-zuerich-fc-zuerich/#redirect