GC-Trainer Gerald ScheiblehnerJNEB1886 hat geschrieben: ↑04.10.25 @ 9:37 https://www.tagesanzeiger.ch/gerald-sch ... 1082327048
Kann das jemand auch Posten? Danke !
«In meiner Rolle abzuheben, ist entweder dumm oder verantwortungslos»
Er wurde zum Jahrhunderttrainer gewählt, arbeitete immer nebenher in einem «normalen» Job und erlebte, wie es ist, wenn Mächtige ihre Macht missbrauchen. Der Österreicher im Interview.
Gerald Scheiblehner ist seit einigen Monaten Trainer der Grasshoppers, zuvor war der 48-Jährige während vier Jahren bei Blau-Weiss Linz in seiner Heimat Österreich tätig. Nun war der Saisonstart mit sechs Punkten aus sieben Spielen resultatmässig nicht berauschend, doch vor dem Zürcher Derby vom Samstag (20.30 Uhr) ist die Grundstimmung um GC bemerkenswert gut.
Gerald Scheiblehner, Sie wurden kürzlich als bester Trainer der Super League bezeichnet. Haben Sie das mitbekommen?
Komischerweise habe ich es aus Linz geschickt bekommen, von Blau-Weiss-Fans.
Die sind jetzt bestimmt stolz.
Es ist sicher überraschend. Aber es bringt mir in meiner täglichen Arbeit ja nichts. Es ist schön, wenn die Arbeit Anerkennung findet, das Wichtigste ist aber, dass sie bei den Spielern ankommt.
Sie sind seit Juli bei GC. Im Gegensatz zu anderen schafften Sie den Schritt zum Profitrainer, ohne einen grossen Namen zu haben.
Absolut. Fussball war zwar immer meine Leidenschaft. Erstens nahm ich mich aber selbst nie zu wichtig. Was mir zweitens immer wichtig war: in Vereinen zu sein, in denen ich ein gutes Umfeld habe, mich wohlfühle und mit guten Leuten zusammenarbeite. Es war mir egal, ob das in der dritten oder der vierten Liga war. Dann habe ich die Chance bekommen, als Profitrainer zu arbeiten. Das hat mir Spass gemacht, auch weil ich vorher immer 40 Stunden meinem Job nachging und abends im Amateurbereich trainierte.
Wie sah der Arbeitsalltag damals aus?
Ich war bei der österreichischen Gesundheitskasse und hatte bald das Glück, in die Gesundheitsförderung wechseln und Projekte mit Amateurvereinen entwickeln zu können. Ich konnte also den Beruf mit Fussball verbinden. Mein Ziel war schon da, etwas zu hinterlassen. Und dass es nicht nur um Details geht.
Wie war es dann, plötzlich Profitrainer zu sein?
Ich konnte es geniessen. Ich habe mir aber immer ein zweites Standbein erhalten, damit ich keine Existenzängste bekomme, wenn ich den Job verliere. Vielleicht sind Niederlagen für mich deshalb nicht so existenzbedrohend wie für andere.
Was war Ihr zweites Standbein in Linz?
Ich war weiter bei der Gesundheitskasse und habe acht Stunden pro Woche im Homeoffice gearbeitet. Dazu war ich beim Fussballverband in Oberösterreich in der Ausbildung von Trainern tätig. Es hat Spass gemacht, den Kontakt zu Amateurtrainern aufrechtzuerhalten. Und es motivierte sie vielleicht auch, zu sehen, dass es möglich ist, aus dem Amateur- in den Profibereich zu kommen.
Schauen wir noch weiter zurück. Sie waren einst in der Jugend bei Austria Wien, tönten aber schon an, dass es nicht immer einfach war.
Damals waren Hierarchien ein grosses Thema. Es gab routinierte Spieler, die alles entschieden. Als junger Spieler wurde man fast schon gedemütigt und vom Trainer kaum beachtet. Ich habe den Entscheid getroffen, dass das die falsche Wahl war für mich. Statt mit aller Gewalt Profi zu werden, ging ich einem Job nach und blieb im Amateurbereich. Im Nachhinein war das ein guter Weg, weil ich mich beruflich weiterentwickeln konnte und nach dem Karriereende nicht darüber nachdenken musste, was jetzt kommt.
Sie kamen zu einem Einsatz mit Austria in der Bundesliga. Fragten Sie sich manchmal, ob mehr dringelegen wäre?
Auf jeden Fall. Es war aber nicht so, dass ich einfach nicht ins Schema passte, es gab auch andere Gründe. Ich war eher technisch gut, hatte aber zu wenig Tempo. Doch vor allem habe ich nicht alles rundherum liegen lassen für den Fussball. Aber ich stand hinter diesem Entscheid, mir ging es nie schlecht, weil ich nicht Profi wurde.
Hilft Ihr Werdegang, bodenständig zu bleiben?
Ich habe grundsätzlich ein Problem mit Leuten, die abheben. Warum sollte jemand abheben, wenn er in einem Bereich der öffentlichen Wahrnehmung erfolgreich ist? Es gibt viele Berufe, in denen die Menschen mehr leisten, aber nicht in der Öffentlichkeit stehen. Und die heben auch nicht ab. Wenn ich wegen der öffentlichen Wahrnehmung abhebe, ist es eine Schwäche. Und wenn man in unserem Bereich erfolgreich ist, sollte man darauf achten, ein Vorbild zu sein. Wenn man in dieser Rolle abhebt, ist es entweder dumm oder unverantwortlich.
Beim SK Vorwärts Steyr wurden Sie immerhin als Jahrhunderttrainer ausgezeichnet.
Ich bin schon sehr lange mit meiner Frau zusammen, wir haben drei Kinder und wissen, dass es viel wichtigere Dinge gibt als Fussball. Wir geniessen sehr, was wir haben. Aber das Bild eines Profitrainers schaut von aussen besser aus, als es ist.
Wie meinen Sie das?
Unser Job ist jedes Wochenende in Gefahr, etwas übertrieben formuliert. Man muss die Zeit also geniessen, aber vorbereitet sein auf ein anderes Szenario. Denn es kann sehr schnell gehen. Wenn man sich dessen bewusst ist, ist man immer noch enttäuscht, wenn es endet, aber es zieht einem nicht den Boden unter den Füssen weg.
Kann einen dieses Kurzfristige auch etwas verrückt machen?
Ja, wenn ich nur das habe und nur von dem abhängig bin, wie es viele Leute sind. Aber das ist auch nicht die Schuld dieser Leute. Sie sind 15 Jahre Profi und wechseln dann ins Trainergeschäft, dann gibt es halt nur das. Klar, wenn man 15 Jahre Profi und halbwegs normal ist, hat man auch ein bisschen etwas auf der Seite. Schwierig ist es für die Trainer, die im Profibereich in tieferen Ligen arbeiten, denselben Druck haben und dann aber kaum Chancen bekommen, sich noch einmal zu beweisen, wenn sie mal entlassen werden. Diesem Druck sind viele nicht gewachsen.
Sie trainieren nun das jüngste Team der Super League. Helfen Ihre Erfahrungen von früher?
Jeder Mensch sollte aus seinen Erfahrungen lernen. Ich will auch nicht missverstanden werden: Hierarchien sind notwendig. Nur darf niemand die Macht, die er durch seine Funktion hat, missbrauchen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Macht durch die Funktion missbraucht wurde. Man muss als Führungskraft viele Entscheidungen treffen, man muss das aber im Team tun, auch wenn man die Verantwortung trägt am Ende.
Liegt Ihnen die Arbeit mit jungen Spielern?
Mir macht diese Arbeit Spass, weil es eine Herausforderung ist, mit verschiedenen Generationen umzugehen. Trainer sollten Ansprechpersonen sein, nicht nur auf dem Platz. Viele sind erstmals im Ausland, weg von den Eltern, haben hier kein soziales Umfeld oder kommen aus ganz anderen Kulturen. Es ist darum wichtig, vom Spieler etwas zu erfahren. Gibt es Eltern? Leben sie in der Heimat oder hier? Besuchen sie den Spieler? Ohne zu wissen, woher der Spieler kommt und wie er aufgewachsen ist, ist es schwer, ihn zu unterstützen. Das braucht Zeit. Man darf auch nicht verlangen, dass die Spieler alles machen, was man einem sagt, sondern muss versuchen, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie selbst Entscheidungen treffen können, auch falsche.
Sie bauen viele ehemalige GC-Junioren ein. Ein bewusster Entscheid?
Ich kam hierher und kannte niemanden. Ich habe also nicht gewusst, ob die Spieler seit dem 12. oder dem 18. Lebensjahr hier sind, startete also ohne Vorurteile. Ich brauchte zwar eine Weile, bis ich alle kannte, weil auch viele Spieler da waren. Aber so konnte ich fair bleiben, und das war wichtig. Es sind ja auch einige Spieler dabei, die schon eine Chance hatten, dann aber wieder in die U21 mussten …
… oder schon mehrfach verliehen wurden.
Genau. Wir versuchen, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Burschen eine Chance bekommen. Man muss allerdings klar sagen: Es geht um Leistung, nicht um Jugend. Mit Simone Stroscio, Samuel Marques, Yannick Bettkober, Tim Meyer oder Loris Giandomenico haben wir aber einige spannende Spieler.
Für diese Spieler wird das Derby am Samstag besonders speziell. Die Grundstimmung scheint gut, unter Ihren Bildern auf Instagram gibt es positive Kommentare. Lesen Sie die?
Teilweise, aber es interessiert mich nicht. Doch es ist grundsätzlich schön, wenn die Stimmung positiv ist. Ich glaube, dass der Fan von GC viele negative Geschichten durchmachte und jetzt Hoffnung aufkeimt. Wenn man ihr zusieht, glaubt man der Mannschaft, dass sie ehrlich Fussball spielt. Und das ist mehr wert als mancher Punkt. Am Ende müssen sich die Fans darauf verlassen können, dass wir hier sind, um Erfolg zu haben, und nicht, um gute Stimmung zu verbreiten.