bumpy_knuckle hat geschrieben: ↑09.06.23 @ 17:26
NZZ von Heute
Unglaublich, aber wahr: In der Stadt Zürich kommt es zu einer dritten Stadionabstimmung
Ein Volksbegehren gibt vor, das Flussufer schützen zu wollen. Doch es zielt direkt auf das Projekt «Ensemble» mit zwei Hochhäusern und dem Fussballstadion.
Die Befürworter des Zürcher Stadionprojekts auf dem Hardturmareal sind leidgeprüft. Allen voran die beiden Fussballklubs FCZ und GC, die endlich planbare Verhältnisse herbeisehnen. Es ist ein Ziel, das einfach nicht näherkommen will, einer Fata Morgana gleich.
Die Liste wird immer länger: zwanzig Jahre Planung, zwei Stadionprojekte gescheitert, das eine davon trotz einem Ja an der Urne. Nach fünf Jahren Stillstand das gegenwärtige Vorhaben: «Ensemble», das ein Stadion für 18 000 Zuschauer, eine Genossenschaftssiedlung mit gemeinnützigen Wohnungen und zwei Hochhäuser umfasst. 2018 Annahme, 2020 Bestätigung an der Urne.
Seit drei Jahren laufen nun Rechtshändel. Zuerst müssen der Gestaltungsplan und dann die Baubewilligung rechtskräftig werden. Alles anfechtbar über drei Instanzen. Das macht sechs juristische Hürden. Noch keine ist übersprungen.
Und jetzt taucht noch ein Hindernis auf, in Form einer neuen Initiative. Wird sie angenommen, könnte sie das Bauvorhaben im Kern gefährden. Man kann von der dritten «Ensemble»-Abstimmung sprechen. Auch wenn die Initiative das Wort «Stadion» tunlichst vermeidet.
Uferschutzinitiative heisst das Volksbegehren. Die Initiantinnen und Initianten haben die nötigen 3000 gültigen Unterschriften diesen Frühling eingereicht, es ist somit zustande gekommen. Das Begehren hat das offizielle Ziel, den Bau von Hochhäusern entlang der Gewässer zu verbieten. Aber eben nicht nur unmittelbar am Ufer, sondern auch darüber hinaus.
Von der «vierfachen Sohlenbreite der Limmat» ist im Initiativtext die Rede. Macht bei einer Sohlenbreite von 50 Metern exakt 200 Meter. Entlang dieses Streifens würden Bauten über 25 Meter Höhe verboten.
Die «Ensemble»-Wohntürme stehen ziemlich genau 200 Meter vom Limmatufer entfernt.
Im Initiativtext ist nicht die Rede von Fussball, sondern vom Erhalt von Naherholungsgebieten «für die Bevölkerung und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen».
Gezielt gegen Stadionprojekt gerichtet?
Doch vieles deutet darauf hin, dass die Initiative gezielt gegen das Stadionprojekt gerichtet ist. Sie kommt zwar in Form der «allgemeinen Anregung» daher, doch sie enthält sehr konkrete Formulierungen. Zum Beispiel wird explizit erwähnt, dass Gestaltungspläne mitgemeint sind und nur bestehende Bauten dem Bestandesschutz unterständen.
Zwar ist allgemein vom Uferschutz die Rede. Doch die Forderung ist bezüglich Seeufer bedeutungslos. Die Richtlinien des Hochbaudepartements sehen am See keine Hochhäuser vor. Alles konzentriert sich auf den Limmatraum.
Und dort gibt es derzeit genau ein konkretes Bauprojekt mit Bauhöhen über 25 Meter in 200 Metern Abstand vom Limmatufer: «Ensemble».
Genau genommen würde nur der Bau der beiden Wohntürme verboten. Das Stadion und der Genossenschaftsbau sind niedriger als 25 Meter. Aber das gegenwärtige Projekt ist ohne Wohntürme nicht finanzierbar.
Die Initianten geben sich auf Anfrage der NZZ ahnungslos. Martin Zahnd, von Beruf IT-Spezialist und Hobbynaturfotograf, ist einer der treibenden Kräfte. Er wisse nicht genau, ob die Wohntürme auch von der Initiative betroffen seien, sagt er. Und ob das Volksbegehren das Stadion wirklich gefährde, könne er nicht beurteilen. «Es geht uns nicht um das Stadion, sondern generell um Umweltschutz und vor allem um die Hochhausrichtlinie, die die Stadt kürzlich verabschiedet hat.»
Als Beispiele nennen die Initianten allerdings Gebäude, die unmittelbar ans Wasser gebaut wurden. Etwa den Swissmill-Tower oder den geplanten Wohnbau der Stadt über dem ehemaligen Tramdepot im Kreis 5. Weshalb soll der Schutz über das unmittelbare Ufer hinaus und derart weit gehen?
Zahnd sagt, Uferlandschaften seien besonders schützenswert. Und Hochhäuser hätten weitreichende Auswirkungen, beispielsweise durch den Schattenwurf. Deshalb müsse das Ufer in einer gewissen Breite geschützt werden.
Ein Blick auf das Initiativkomitee verstärkt den Verdacht, dass es sich um eine versteckte Stadioninitiative handelt. Denn es liest sich wie ein Who’s who der Stadiongegner: Lisa Kromer sitzt darin, Präsidentin der IG Freiräume Zürich-West, die den Gestaltungsplan an der Urne bekämpft hat. Weiter die GLP-Kantonsrätin Sandra Bienek, Wortführerin bei der ersten «Ensemble»-Abstimmung 2019.
Oder die beiden Grünen Markus Knauss und Gabi Petri, die als VCS-Funktionäre das allererste Stadionprojekt von 2003 mit Rekursen in die Knie gezwungen haben. Weiter sind bekannte Hochhausgegner wie der Architekt Heinz Oeschger mit von der Partie.
Die Initianten wetten mutmasslich darauf, dass ein Volksentscheid vorliegt, bevor der «Ensemble»-Gestaltungsplan rechtskräftig ist. Das Volksbegehren dürfte in rund zwei Jahren an die Urne kommen. Bis dann dürfte der Rechtsstreit um das Stadionprojekt noch nicht beigelegt sein.
Kann dieser Plan aufgehen? Kann man laufende Bauprojekte mittels Volksinitiative torpedieren? Das städtische Hochbaudepartement schreibt auf Anfrage knapp, die Initiative werde den Gestaltungsplan «nach unserer Einschätzung» nicht tangieren. Juristisch ist dies aber kein klarer Fall.
Alain Griffel ist Rechtsprofessor an der Universität Zürich und Experte für Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht. Gemäss seiner Einschätzung ist nicht auszuschliessen, dass die Initiative Folgen hat, auch wenn er den umgekehrten Fall für wahrscheinlicher hält. Allgemein sei Planbeständigkeit in der Raumplanung ein wichtiger Faktor in der Rechtsprechung.
Die Gretchenfrage sei der Zeitpunkt, auf den die Gerichte abstellten, sagt Griffel. Gilt die Rechtslage für den Zeitpunkt, als der Gestaltungsplan verabschiedet wurde? Oder gilt die Rechtslage zum Zeitpunkt, da die Initiative, falls sie denn angenommen wird, umgesetzt ist?
Griffel geht vom ersten Fall aus. Aber es habe auch schon Fälle gegeben, bei denen die Gerichte anders entschieden hätten. «Eine gewisse Gefahr für das Bauprojekt geht von der Initiative deshalb aus, weil es aufgrund des juristischen Schwebezustands viele andere nicht gesicherte Faktoren gibt.»
Die «Ensemble»-Verantwortlichen nehmen die Initiative ernst. Der Sprecher Markus Spillmann sagt, man habe die Initiative «zur Kenntnis genommen». «Für das Projekt ‹Ensemble› gilt, dass es zweimal sehr deutlich von der Bevölkerung gutgeheissen wurde und wir sehr zuversichtlich sind, dass auch die derzeit noch hängigen Rekurse zügig erledigt werden. Allfällige Versuche von Minderheiten, das Projekt weiter zu verzögern, schaden dem Fussball-, Jugend- und Vereinssport und dem raschen Bau dringend benötigter Wohnungen.»
Weitere Verzögerung zu erwarten
Offen ist, ob die Initiative das Verfahren vor Gericht verzögert. Es ist aber der Fall denkbar, dass die Gerichte einen ausstehenden Volksentscheid abwarten. Auch dies dürfte Teil des Kalküls sein.
Denn mit jeder Verzögerung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Investoren – in erster Linie Pensionskassen – die Zuversicht verlieren, das Vorhaben mit intakten Renditeaussichten realisieren zu können.